Von der Kunst, aktuelle Gesellschaftskrisen in sich selbst zu bewältigen

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Fühlen Sie sich manchmal ohnmächtig angesichts des Chaos in dieser Welt? Erzeugen die täglichen Negativ-Schlagzeilen bei Ihnen Zukunftsängste oder gar Depression? Dann ist dieser Artikel für Sie. Er gibt Hinweise, wie Sie aus dieser Schieflage herausfinden können.

„Wir befinden uns nicht in einer moralischen Krise, auch nicht in einer politischen, finanziellen oder religiösen Krise. Wir befinden uns in einer Entwicklungskrise.“  (Satprem, 1981)

Der französische Schriftsteller und „Forscher neuer Welten“, Satprem, Vertrauter von Mirra Alfassa, „La Mère“, legte bereits Anfang der 80er Jahre den Finger in die Wunde an der unsere Gesellschaft krankt. Ihm zufolge ist eine Entwicklungskrise im Kern eine Bewusstseinskrise einer Gesellschaft, in der eine überwältigende Mehrheit seiner Mitglieder den Blick auf sich selbst verloren hat.

Politik, Finanzmärke und Religionen sind nach außen gerichtete Strukturen, die von uns selbst ablenken und an die wir unsere Macht abgeben können, wenn uns die Eigenverantwortung zu schwer wiegt. Damit laufen wir Gefahr, uns als Opfer zu definieren: Opfer eines übermächtigen und strafenden Gottes, der unsere Gebete nicht erhört, Opfer einer Politik, in die der Bürger sein Vertrauen verloren hat und sich von ihr nicht mehr repräsentiert fühlt, und Opfer einer Finanzwelt egoistischer Geizhälse für die Gemeinwohl ein Fremdwort bleibt. „Blitz-Scaling“ heißt das neue Zauberwort bei dem Wachstum in Schallgeschwindigkeit gepusht wird auf Kosten von Effizienz und somit der Mitarbeiter. Der Kollateralschaden ist einkalkuliert. Es herrscht ein neuer kolonialer Geist angepasst an die Rahmenbedingungen, die unser virtuelles Zeitalter der künstlichen Intelligenz bietet. Allen scheint der Blick für eine systemische Betrachtung des Lebens, in dem alles miteinander verknüpft ist, verloren gegangen zu sein.

Die Fülle der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, erschlägt, wühlt auf, macht ohnmächtig. Sie macht vor allem blind für die Rolle, die jeder von uns in diesem Spektakel spielt. Mit dem Finger auf Institutionen als Sündenbock zeigen ist leicht, sich selbst erkennen um ein vieles schwerer. Dazu braucht es Bewusstsein für die Art und Weise, wie jeder einzelne von uns mit den täglichen Herausforderungen im Alltag umgeht. Erst wenn das gegeben ist, kann Erkenntnis wachsen.

Was können wir tun, um nicht in das weit verbreitete Lamentieren zu verfallen oder uns von bestimmten „Anti-Strömungen“ und neo-radikalen Tendenzen mitreißen zu lassen? Wie geht Erinnerung an unsere wahre Natur?

 Sie stimmen mir vielleicht zu, dass es nicht zu unserem Wohlbefinden beiträgt, täglich bereits morgens nach dem Aufstehen Radio oder Fernseher einzuschalten und sich den ganzen Tag mit negativen Schlagzeilen in Endlosschleife bombardieren zu lassen. In den allermeisten Fällen ist diese Zustimmung jedoch nur eine intellektuelle, die nicht aus einer inneren Erkenntnis erwächst. Der Tag endet oft mit Mord und Totschlag im Fernseher. Die Bilder verfolgen uns in den Träumen und erhöhen unbewusst unsere Toleranz für Gewalt.

Trotz allem gibt es jene, die in der Illusion leben, unberührbar von dem lauten Dauergeplapper zu sein. Beispielsweise erklärte mir ein Herr, er mache zwar das Radio an, höre aber nicht zu und so hätten die Berichte auch keine Wirkung auf ihn. So denken viele andere auch. Deshalb fährt sie fort, die große Masse der Bürger, und lässt sich täglich von den Medien die Laune verderben. Die Auswirkungen dieses negativen Bombardements gehen weit über die schlechte Laune hinaus und befallen unseren Körper und unsere Seele, schleichend, fast unbemerkt, wenn wir nicht anfangen, uns selbst zu beobachten.

„Die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los,“ schrieb der Dichter Johann Wolfgang von Goethe im Zauberlehrling. Das ist das eigentliche Thema, um das es geht: Was haben die Geister unserer Zeit mit jedem einzelnen von uns zu tun und was kann jeder tun, um sie wieder los zu werden?

Auf der Suche nach Antworten auf diese Frage ist es hilfreich zu verstehen, welchen Prinzipien unsere Welt folgt und wie wir funktionieren. Welchen Umgang pflegen wir mit der Materie und welche Einstellung bzw. welchen Kontakt haben wir zu unserer wahren Natur jenseits aller Dogmen und Religionen? Hierin liegt der Schlüssel zur Bewältigung dieser Bewusstseinskrise.

Leben im Paradox – Der Mensch zwischen Körper und Licht

 “Somewhere, over the rainbow, way up high,
Irgendwo jenseits des Regenbogens, ganz weit oben,

There’s a land that I heard of, once in a lullaby.
Da ist ein Land, von dem ich in der Wiege gehört habe.

Somewhere over the rainbow, skies are blue,
Irgendwo jenseits des Regenbogens ist der Himmel blau,

and the dreams that you dare to dream, really do come true.
Und die Träume, die du zu träumen wagst, werden dort wahr.

Some day I’ll wish upon a star, and wake up where the clouds are far behind me.
Eines Tages werde ich von einem Stern aus meine Wünsche äußern, ich wache dort auf, wo ich die Wolken weit hinter mir gelassen habe.

Where troubles melt like lemon drops, way above the chimney tops,
Dort, wo alle Sorgen wie Zitronentropfen  schmelzen

that’s where you’ll find me.
Dort wirst du mich finden.

Somewhere over the rainbow, blue birds fly; birds fly over the rainbow,
Irgendwo jenseits des Regenbogens fliegen blaue Vögel, Vögel fliegen über den Regenbogen,

why then, oh why can’t I?”
Und warum kann ich das nicht ?

Es war dieser strahlende doppelte Regenbogen, der mir das Lied „Somewhere over the rainbow“ erneut in Erinnerung rief. Seit seiner Erstaufführung

im „Zauberer von Oz“ wird es bis heute in unendlich vielen Variationen gespielt, gesungen und interpretiert. Lange war mir die tiefere Bedeutung dieses Liedes nicht klar, das ich immer munter mitträllerte, wenn es im Radio lief.

Der Regenbogen wird zu einer Metapher für das Land jenseits des Regenbogens, also jenseits der Materie, in dem Träume wahr werden. An diesem Ort bin ich zu finden, heißt es da. Es ist der Ort, wohin die blauen Vögel fliegen können, ich aber nicht. Dieses Lied beschreibt das Paradox unseres Seins.

Dabei geht es einerseits um die duale Natur der Materie und andererseits um die wahre Essenz des Seins. Beide folgen anderen Gesetzen und erzeugen somit ein Dilemma in unserem physischen Sein. Solange ich im Körper unterhalb des Regenbogens gefangen bin, kann ich nicht wie der Vogel in das Land der Träume abheben. Der Vogel als Metapher für den Geist ist jedoch nicht an die Gesetze der Schwerkraft gebunden und kann sich über die Materie erheben. Wie der Vogel kann auch ich mich Kraft meines Geistes mit dem Land der unendlichen Möglichkeiten verbinden und die Träume auf die Erde holen. Tue ich das nicht, bleibe ich in der Schleife der ewigen Wiederholungen jener Handlungen gefangen, die mir das Leben mehr oder weniger erschweren.

Der Raum zwischen den beiden Regenbögen ist die Schnittstelle: der Übergang von der Materie zum Licht. Man könnte ihn mit dem Raum der Individualseele vergleichen, bevor sie mit dem „All-einen Sein“ jenseits des Regenbogens wieder verschmilzt. Beweise dafür gibt es natürlich nicht.  Die alten Traditionen lehren dies und unzählige Berichte von Nahtoderlebnissen beschreiben dies. Ausschlaggebend ist am Ende jedoch das eigene Gespür für innere Wahrheit. Diese erschließt sich jedoch nicht durch Logik.

Illustration der drei Ebenen im buddhistischen Tempel Wat Pra That Doi Saket in Thailand

Das Land jenseits des Regenbogens ist das Land des ewigen Lichtes, die universelle Bibliothek, das Feld  unendlicher Möglichkeiten, auch Akasha Chronik genannt. Es ist die Quelle allen Seins, das Tao. Es ist das Land jenseits von Raum und Zeit. Jeder Versuch, dieses „Land“ beschreiben zu wollen, muss scheitern, denn jede Beschreibung unterliegt den Gesetzen unserer dualen Welt. Jenseits des Regenbogens sind diese Gesetze jedoch außer Kraft gesetzt.

Als Mensch können wir uns diesem „Land“ allenfalls annähern, indem wir den Atem des Lebens spüren, dem Klang der inneren Stimme lauschen und den Segen der Stille entdecken.

 Die großen monotheistischen Religionen wie das Christentum, das Judentum und der Islam haben dieses „Land“ Gott genannt. Sie haben uns Bilder und Geschichten gegeben, um das Unbeschreibliche begreifbar zu machen. Daraus wurden Dogmen und Regeln, die diese Bilder und Geschichten zur buchstäblichen Wahrheit erklärten. Es begann der religiöse Kampf um die richtigen und falschen Ansichten und Praktiken, verpackt im missionarischem Eifer zur Kontrolle über Völker und Nationen. Dem wachen Auge und dem hellen freien Geist entgeht trotz allem nicht der Wert der alten Schriften. Man muss genau hin schauen und darf sich nicht von Dogmen blenden lassen. Im Kern sind sie alle ein Plädoyer für Frieden und Liebe für sich selbst und seinen Nächsten. Sie geben uns ein mehr oder weniger gelungenes tieferes Verständnis von der eigentlichen Natur des Seins. Aufgrund manipulativen Missbrauchs während unterschiedlicher Epochen haben sich jedoch viele Botschaften der Schriften negativ im kollektiven Gedächtnis verankert.

Ein anderes Symbol, das sich sehr gut eignet, unsere wahre Natur zu erklären, finden wir in der Jahrtausende alten Tradition des Taoismus: die Runde Scheibe mit dem Loch im Karree.

Die Scheibe steht für Materie. Diese wiederum ist gebildet aus den beiden Urkräfte, yin und yang, weiblich und männlich. Jede Form, jeder Körper bis hinein in die feinsten Mikrostrukturen ist eine Zusammensetzung aus diesen beiden Kräften – rund für das weibliche Prinzip, eckig und gerade für das männliche Prinzip. In der Materie ziehen sich die Gegensätze an. Die eine Kraft kann nicht ohne die andere existieren.

Im taoistischen Tempel Nanyan, Mount      Wudang, chinesische Provinz Hubai, China

Das Loch zeigt uns an, dass Materie nicht fest und undurchlässig ist, so wie sie uns erscheint, sondern, dass sie im Kern aus Leere besteht. Hier ist der Zugang zu unserer wahren Natur.

Die Quantenphysik hat uns diese Jahrtausende alte Weisheit inzwischen bewiesen: Die kleinsten Teilchen, die ein Atom umkreisen, schweben im leerem Raum ebenso wie die Atome untereinander. Die Leere ist die Verbindung zur Quelle, zum „ewigen Licht,“ die Essenz unseres Seins innerhalb der Materie aller Körper und Formen oder anders gesagt: Das eigentliche Wesen der Materie besteht nicht aus Gegenständen, sondern aus den Verbindungen zwischen den kleinsten Teilchen. Materie ist Körper und Welle zugleich.

In seinem Lied Anthem besingt der Kanadier Leonard Cohen diese Leere: „There’s a crack in everything, that’s how the light gets in.“In allen Dingen ist ein Riss; so dringt das Licht ein.

Das taoistische Symbol erklärt uns auch die Dynamik der Bewegung: Stellen Sie sich vor, die Scheibe dreht sich in der Horizontalen. Das erzeugt eine Dynamik die zum einen subjektorientiert nach innen gerichtet ist; zum anderen ist sie objektorientiert nach außen gerichtet, in ständiger Verbindung mit unserem  Umfeld, weg von unserem Kern. In dieser Dynamik bleibt das Innen, also das Ich,  immer mit dem Objekt verbunden.

Während sich das Ich (yin), um sich selbst dreht, dreht sich seine polare Kraft, das Außen (yang), mit. Außen und Innen sind also zwei unterschiedliche Aspekte ein und desselben Phänomens. Sie bilden zusammen die Dynamik des physischen Seins.

Die Kraft, die wir brauchen, um uns an unsere eigentliche Essenz anzubinden, strebt von innen in eine andere Dimension.

Sie ist als Vertikale dargestellt, um zu verdeutlichen, dass es sich um eine nicht-physische Dimension handelt, in der sich alle Gegensätze auflösen.

Wenn wir diese Prinzipien erkennen und sie uns zu Nutze machen, dann verheißen uns die 4 chinesischen Idiogramme auf der Scheibe ein langes und gesundes Leben in Fülle und Frieden. – Worauf warten wir also noch?!

Jeder kennt das Tai Chi-Symbol, Zeichen für Bewegung und Ruhe, Sonne und Schatten. Das Wissen, wie die beiden Urkräfte in Harmonie gebracht werden, entscheidet über die Qualität des Lebens, sagen die Chinesen.

Lao Tzu* beschreibt die Beziehung der beiden Urkräfte so:

Schönheit wird als Schönheit nur erkannt, wenn Nichtschönheit bewusst wird. 
Das Gute wird als Gutes nur erkannt, wenn Nichtgutes bewusst wird.
Sein und Nichtsein erzeugen einander;
Schweres kann nur sein, wo auch Leichtes ist;
Großes nur, wo Kleines ist;
Hohes dort, wo Tiefes ist.
Stimme und Ton bedingen die Kiangwelt.
Vergangenheit und Zukunft bedingen die Zeit. 

Darum
Wirkt der Weise durch Nichtwirken;
Lehrt durch Schweigen;
Ist allem geöffnet, was auf ihn zukommt;
Erzeugt und
behält nichts;
Schafft Werke und fragt nicht nach der Frucht der Werke;
Vollendet und steht immer wieder am Anfang:
All sein Tun quillt aus Herzensgründen.

*Tao Te King, Kapitel 2

Es ist allerdings nicht erstrebenswert, den Zustand perfekter Balance zwischen den beiden Kräften halten zu wollen; denn es gibt keinen Zustand perfekter Ausgeglichenheit, der dauerhaft anhält und der auf jede Lebenssituation passt. Harmonie bedeutet nicht, dass beide Kräfte im perfekten Gleichgewicht zueinander stehen müssen.

Alles ist relativ, alles ist zeitlich begrenzt, nichts währt ewig. Das Symbol wird zu einem Wegweiser, wohin die Reise gehen soll, wenn wir aus dem inneren Gleichgewicht gekippt sind. Es erinnert uns daran, dass wir Konflikte dann dauerhaft bewältigen, wenn wir den Kampf der Gegensätze in uns aufgelöst haben!

Es geht darum, den Weg des geringsten Widerstandes zu finden. Manche sprechen auch vom goldenen Mittelweg, der uns weiter bringt ohne zu leiden. Alle Extreme führen letztendlich zu Leid. Um das zu vermeiden – es sei erneut hervorgehoben -, bedarf es der Erkenntnis, die aus erhöhter Wachsamkeit resultiert.  Das ist gemeint, wenn Satprem von „Entwicklungskrise“ unserer Gesellschaft spricht.

Das Tai Chi-Symbol ist in ständiger Bewegung. Es dreht sich in alle Richtungen, je nach dem, wohin der Mensch seine Aufmerksamkeit und Absicht lenkt – das gilt für den Einzelnen ebenso wie für das Kollektiv. Spätestens wenn ein Extremzustand erreicht ist,  kippt die Bewegung in ihr Gegenteil.

 

Jede Bewegung bringt ihre Gegenbewegung hervor. Diese Wahrheit ist dargestellt in dem Punkt in jedem der beiden Kräfte, die stets ihr Gegenteil in sich tragen. Beide sind in der physischen Welt untrennbar miteinander verbunden. Man könnte auch sagen, dass der Punkt in schlechten Zeiten das Prinzip Hoffnung versinnbildlicht; denn es ist immer nur eine Frage der Zeit, wann die komplementäre Kraft an Größe gewinnt, d.h. wann der Einzelne oder das Volk erwacht und genug von der selbst erzeugten Realität hat. Umgekehrt gilt ebenso, dass auch paradiesische Zustände nicht ewig halten.

Kriege können Jahrzehnte dauern, Beziehungskriege bis in den Tod, aber alles kann sich ebenso mit einem Fingerschnippen urplötzlich verändern, nämlich in dem Moment, wo wir bereit sind, aus dem Gefängnis verletzter Gefühle und egoistischer Rechthaberei   in die Freiheit zu treten. Wer das kann, hat die wahre Natur des Seins erkannt und holt sich ein Stück Selbstermächtigung zurück.

Warum bleiben dennoch so viele unserer Mitmenschen im Hamsterrad der Dualität stecken?

Wer aus dem ewigen Kreislauf der Dualität heraustreten will, braucht die höhere Dimension, in der sich alle Gegensätze auflösen und eine dritte Kraft die Führung übernimmt. Die dritte Kraft wird frei, wenn wir die beiden Urkräfte in uns in Harmonie und somit in Fluss bringen.

Dies zeigt sich beispielsweise, wenn sich das Mentalfeld der fließenden Lebensenergie übergibt und Impulsen Raum lässt, die uns Großartiges erschaffen oder einfach nur „das Richtige“ tun lassen, oder wenn sich ein Zustand von Glückseligkeit einstellt, in dem alles gut ist wie es ist, und wir unsere Verbundenheit mit allem Sein spüren. Diesen Zustand nennt man Liebe zu allem was ist, die lichtvolle Liebe des Herzens. Sie ist die wahre Kraft der Transformation, nicht die romantische, emotional aufreibende Liebe.

Trump, Gelbwesten und ich – ein Selbstexperiment

Es ist eine Kunst, die oben beschriebenen Erkenntnisse in Verhalten umzusetzen, das es uns ermöglicht, angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen unserer Gesellschaft ruhig zu bleiben – ruhig aber nicht gleichgültig. Gleichgültigkeit trennt uns von unseren Mitmenschen, schneidet uns von Mitgefühl ab und macht uns zu Robotern.

Was hat das alles mit mir zu tun, wenn  ein Präsident Trump einen Eid schwört, die Verfassung zu schützen und zu verteidigen, „so wahr mir Gott helfe,“ und dann Entscheidungen trifft, die seine eigenen Interessen über die des  amerikanischen Volkes stellt? Was hat es mit mir zu tun, wenn die Gelbwesten in überschäumender Wut über die ungerechte Verteilung des Wohlstands aufbegehren und sich diese Wut in Gewalt entlädt?

Das wollte ich genauer wissen und startete ein Selbstexperiment. Über Monate schlüpfte ich in die Rolle des bewussten Beobachters: Zum einen beobachtete ich die Geschehnisse im Außen durch die Berichterstattungen des amerikanischen Fernsehsenders MSNBC. Zum anderen beobachtete ich mich selbst.

Ich wählte Trump als „Forschungsobjekt“, weil er seine Absichten und sein Verhalten offen zur Schau trägt und weil die Beobachtung aus der Distanz leichter ist wenn man nicht unmittelbar betroffen ist wie z. B. in einer Liebesbeziehung. Ich wählte das Thema „Trump“ auch deshalb, weil die Reaktionen aus seinem Umfeld und der Bevölkerung das Zusammenspiel der beiden Urkräfte ganz praktisch und leicht nachvollziehbar illustrierten.

Das amerikanische Wahlgesetz, indem ein Präsident durch Wahlmänner bestimmt wird und nicht direkt durch die Wahlberechtigten, hatte es ermöglicht, dass Trump Präsident wurde, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung Hillary Clinton wollte. Also ging die  Bevölkerung in unzähligen Demonstrationen auf die Barrikaden. Die Anti-Trump Bewegung war geboren. Auf den Bannern stand „No“ oder „Anti“ -irgendetwas. Nur selten gaben die Demonstranten dem Ausdruck, wofür sie eigentlich kämpften.

Jede Anti-Bewegung erzeugt Widerstand und stärkt damit genau das, was die Demonstranten eigentlich nicht wollen. Es fordert den erklärten Gegner heraus, mit größerer Härte auf sein Gegenüber zu reagieren nach dem Motto „Jetzt erst recht!“ In jeder Anti-Bewegung keimt großes Potential von Gewalt. Je mehr die Trump-Gegner ihrem Unmut Luft machten, desto mehr stellte sich die republikanische Partei geschlossen hinter ihren Präsidenten und erschwerte somit jeglichen Versuch, eine autokratische Persönlichkeit am Amtsmissbrauch zu hindern. Erst als die ganze Breite von Trumps eigener Anti-Haltung nicht mehr zu übersehen war,  – anti Umweltschutz, anti Immigranten, anti Nato, anti Journalisten, anti Gewaltenteilung – erwachte eine große Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung.  Es entstand eine Bewegung von noch nie dagewesenem Engagement: FÜR gesellschaftsrelevante Themen und nicht mehr anti Trump. In dessen Folge holten sich die Demokraten eine überwältigende Mehrheit im Repräsentantenhaus zurück.

Um bei der Symbolik des  Thai Chi Bildes zu bleiben: Auf einem Höhepunkt der manipulativen Kraft – es  ist noch nicht vorbei – begann die Komplementärkraft an Stärke zu gewinnen. Es muss aber nicht immer erst zum Äußersten kommen, bevor die Dinge sich ändern.

Parallel zu dem Medienspektakel beobachtete ich meine eigenen Gefühle und Körperreaktionen. Was kam in mir hoch angesichts dessen, was da draußen ablief?

Alles kam hoch: Manchmal kam es mir vor, als säße ich im Kino in einem kafkaesken Drama oder einer absurden Komödie so aberwitzig erschien mir, was ich sah.  Schlimmer waren jedoch die Gefühle von Wut, Frustration und Angst, die immer häufiger in mir auf kamen, bis ich eines Tages den leibhaftigen Teufel zu Gesicht bekam, verkörpert im hasserfüllten Blick einiger Politiker und einfacher Bürger, die erregt protestierend durch die Straßen zogen.

Ich blickte in den tiefsten Abgrund des menschlichen Wesens. Auch das ist Ausdruck der dualen Natur der Schöpfung. Aber wir können wählen, auf welche Seite wir uns stellen.

Noch nie in meinem Leben hatte ich diese abgrundtiefe Angst gespürt. Bilder von Nazis und der Waffen SS zogen vor meinem inneren Auge vorbei, obwohl ich selbst nur der Nachkriegsgeneration angehöre. Die aktuellen Bilder hatten mich offensichtlich mit dem kollektiven Bewusstsein jener Zeit verbunden, das mir als Deutsche mit in die Wiege gelegt worden war.

Während jene Bilder einer dunklen bitteren Zeit an mir vorbei zogen, geschah etwas Unerwartetes: Ich erkannte sie eindeutig als Teil meines eigenen Bewusstseins; denn sonst wären sie nicht erschienen. Angesichts dieser Tatsache keimte in mir die Gewissheit auf, dass ich die Wirkung dieser  schrecklichen Bilder transzendieren konnte, indem ich die Emotionen, die sie bei mir ausgelöst hatten, transformierte.  In dem Masse, in dem mir das gelang, heilte ich auch ein Stück der Vergangenheit.

Bilder und Geschichten wiederholen sich so,  als würden wir nichts aus der Geschichte lernen. Phänomene, die sich aus der Vogelperspektive gleichen, werden jedoch von den Folgegenerationen unterschiedlich erlebt und interpretiert und somit neu erschaffen. Nur das Kleid wird ausgetauscht, entspricht dem neuesten Trend und unterscheidet sich nur oberflächlich von der davor getragenen Mode.

Schauen wir in Richtung Frankreich. Anderes Thema, gleiches Prinzip: Aus der Protestbewegung der Gelbwesten konnte ich mich nicht so leicht heraus ziehen wie bei den Ereignissen auf dem Kontinent jenseits des Atlantiks. Wer samstags auf die Straße musste, ob nur zum Einkaufen oder auf Reisen, war mit ihren Blockaden und Aktionen konfrontiert. Anfangs stiller Unterstützer für das Aufbegehren, kippte meine Zustimmung in Ablehnung um, als es zu den ersten gewalttätigen Krawallen kam. Ich ertappte mich dabei, wie ich die Protestler gerne von der Straße gejagt hätte.

Die Gelbwesten holten Erstaunliches aus ihren Mitbürgern hervor. Jeder war eingeladen in den Spiegel zu schauen und die Gewaltbereitschaft in sich selbst zu ergründen. Aber offensichtlich schauten nur wenige; denn sonst wäre die Gewalt nicht weiter eskaliert. Diejenigen die schauten, gründeten die Bewegung der ‚roten Schals“, um gegen Gewalt zu demonstrieren. Die Gewalt  ging weiter, auch nachdem Präsident Macron einlenkte und den Dialog suchte. Ein Bewusstseinswandel ist zum Zeitpunkt dieses Artikels noch nicht erkennbar. Wir werden sehen in welche Richtung das Rad sich dreht.

Egal, wie der Einzelne reagierte, jeder der mit den Gelbwesten konfrontiert wurde, war im Kern nur mit sich selbst konfrontiert. Die fluoreszierend gelbe Farbe löste  bei mir zunehmend großes Unbehagen aus.

 

In beiden Fällen, Trump und Gelbwesten, erkannte ich meine Stimmungslage und impliziten Gefühle. Das, was bei mir und unzähligen anderen im Verborgenen schlummerte, hatte sich im Außen manifestiert. Ich war und bin Teil davon in dem Masse, in dem ich emotional auf äußere Reize reagiere. Somit trägt jeder zu gesellschaftlichen Ereignissen bei, selbst wenn man nicht Akteur an vorderster Front ist.

Da Worte unser Bewusstsein prägen und folglich Realitäten schaffen, frage ich mich, inwieweit sich die im Wortlaut sehr martialische französische Nationalhymne in das kollektive Bewusstsein der Franzosen eingraviert hat, so dass Protest und Streiks auf breiter Front ihr bevorzugtes Mittel sind, ihre Meinung zu äußern. Bei jeder großen öffentlichen Veranstaltung,  bei der die Hymne gesungen wird, erneuern sie den Aufruf zu Gewalt:

Aux armes, citoyens,
Zu den Waffen, Bürger,

Formez vos bataillons,
Formt eure Truppen,

Marchons, marchons!
Marschieren wir, marschieren wir!

Qu’un sang impur
Unreines Blut

Abreuve nos sillons!
Tränke unsere Furchen!

Der Text einer Nationalhymne wird selten geändert; es gibt jedoch eine Umweltbewegung in Frankreich, die, in Anlehnung an die Hymne,  eine andere Botschaft sendet: „Aux arbres, citoyens !“ – zu den Bäumen, Bürger!

Der Mauerfall von Berlin ist ein wunderbares Beispiel, das zeigt, wie Protest bzw. Nicht-Einverstandensein mit einem System, friedlich in die Freiheit führen kann. Es hat   allerdings 28 Jahre gedauert, bis das Pendel umschlug und sich die Pforten für einen Umschwung öffneten.

Als die Bespitzelung der DDR-Bürger durch den Staat ihren Höhepunkt erreicht hatte, hatte auch das Bewusstsein der Bevölkerung für das Recht auf Freiheit eine kritische Masse erreicht. Es war die Gunst der Stunde, der richtige Zeitpunkt eines kollektiven Bewusstseins, als mit Hilfe diplomatischer Beziehungen der russischen und amerikanischen Siegermächte die Präsidenten Bush und Gorbatschow den Weg in die Freiheit ebneten und das Volk diese Energie zur Vollendung trug.

Die deutsche Rocklegende Udo Lindenberg lädt in einem seiner Lieder zum Friedensmarsch der „Menschenfamilie“ ein:

Komm, wir ziehen in den Frieden!
Wir sind mehr, als du glaubst!
Ich steh’ vor euch mit meinen alten Träumen von Love und Peace und jeder Mensch ist frei.
Wenn wir zusammen aufstehen
könnte es wahr sein. Es ist soweit, ich frag,

„bist du dabei?“

Der ehemalige südafrikanische Bürgerrechtler Nelson Mandela war ein weiteres beeindruckendes Beispiel dafür, dass Bewusstsein Realitäten schafft. Als Anwalt kämpfte er gegen das Apartheid Regime. Das brachte ihm, wie wir wissen, 27 Jahre Gefängnis ein. In dieser Zeit wurde aus dem Revolutionär Mandela ein Versöhner.  Als  erster schwarzer Präsidenten Südafrikas beendete er die Apartheid in Zusammenarbeit mit dem Regime, das er bekämpft hatte und das ihn seinerseits bekämpfte.

Gefühle sind das verlässliche Barometer, an dem wir erkennen, ob eine Angelegenheit, und sei sie noch so weit entfernt, auch meine Angelegenheit ist. Gefühle sind das Bindeglied zwischen dem Selbsterlebten und dem vermeintlichen „Mit-mir-hat-das-nichts-zu-tun.“  Ich nähre die Ereignisse durch meine emotionale Resonanz. Es macht also keinen Sinn, sich „Sorgen“ um die Welt oder die Menschheit zu machen; denn solange ich mir „Sorgen“ mache, bleibe ich in Resonanz mit der dunklen Seite der Schöpfung. Wo Licht ist, ist auch Schatten, das ist die Realität der dualen Welt.

 

Wollen wir mehr Licht in die Welt tragen, dann besteht der einzige Ausweg darin, die eigene Resonanz zu Gewalt und übergriffigem Verhalten in uns zu transformieren, also in ihr Gegenteil umzuwandeln. Man könnte auch sagen, wir spielen nicht mehr nach den alten Regeln und richten unseren Blick neu aus – und zwar in die Vertikale weg von der Horizontalen! Auf der horizontalen Ebene der Gegensätze verpacken wir Altes nur in einem neuen Kleid. Wir recyceln! Erst durch den Blick auf die alles transzendierende „dritte“ Kraft kann das festgefahrene Rad wieder in Schwung kommen und Neues hervorbringen.

Aus innerem emotionalem Aufruhr kann somit leises, verständnisvolles Mitgefühl werden. Aus Ablehnung kann Akzeptanz für die Entscheidungen werden, die jeder aus seiner eigenen Lage heraus in jedem Moment neu trifft, auch wenn wir persönlich nicht damit einverstanden sind.

Es gibt viele Techniken und Ratschläge unterschiedlichster Traditionen und neuer Schulen hierzu. Es liegt an jedem selbst, das Passende für sich zu finden, sofern er oder sie das Licht in sich zum Strahlen bringen möchte.

Das Feuer des Herzens – die stärkste Kraft

Auch wenn die Welt im Chaos zu versinken und nichts mehr an seinem gewohnten Platz zu sein scheint, wir unterschätzen oft unseren Einfluss auf die Ereignisse. Wir sind mehr, als wir glauben. Das, was ist, ist genauer betrachtet eigentlich schon Vergangenheit. Das, was wird, haben wir bereits durch unsere Überzeugungen in Bewegung gesetzt und tun es in jedem Augenblick neu, auch wenn wir das Ergebnis noch nicht physisch vor uns erleben. Wir müssen daran glauben, bevor wir es sehen können.

Es sind die kleinsten, lichtvollen Teilchen die sich aus einer höheren Ebene zusammenziehen und schließlich Form annehmen. Das braucht mehr Zeit, als unsere Gedanken zum Fliegen benötigen.

Das Licht ist in der Dualität die männliche Kraft. Damit es als Licht erkannt werden kann, braucht es die Dunkelheit, die weibliche Kraft. Der wohltuende Schatten eines Baumes bei sommerlicher Hitze zeigt uns an, wie lebensspendend beide Kräfte sind. Die Sonne, das Feuer des Himmels, ist Voraussetzung für das Leben auf unserer Erde. Es ist Teil von uns; denn wir sind Kinder des Himmels.

Foto: USGS Hawai’i

Wer das Glück hatte, den Lavastrom eines Vulkans live zu erleben, zu spüren und zu sehen, der weiß um die Kraft des inneren Feuers der Erde. Diese Kraft ist auch in uns. Sie ist Teil von uns; denn wir sind Kinder der Erde.

Wenn wir uns mit diesen beiden Kräften in unserem Herzen verbinden, werden wir zu sprühenden Lichtwesen, die stärker sind als jene, die versuchen, das Licht zu löschen, um ihrem überdimensionierten Ego zu huldigen.

Folgendes können Sie für sich tun, jederzeit und überall. Der wunderbare Nebeneffekt ist, dass Sie dadurch beitragen,  das kollektive Bewusstsein auf eine höhere Ebene zu heben:

Werden Sie zum Beobachter Ihrer Gedanken und Gefühle. Dadurch werden Sie Formen und Muster Ihrer ständig wiederkehrenden Denkstruktur erkennen. Erst dann können sie alte Muster durchbrechen.

Christina Vior

Le parcours de Christina Vior est riche de 30 années d’études intensives et de pratiques de Huna de Hawaï, de chamanisme, de taoïsme avec le Feng Shui, et de géobiologie. Elles a passé 30 ans en tant que cadre dans le monde des entreprises internationales (UPS, BASF, Airbus). Elle donne des conférences et anime des ateliers sur la thématique de l’humanité spirituelle.